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Auf dem Weg zur Europäischen Haftungsgemeinschaft

Foto: Frogé - lizensiert unter Creative Commons.

3. Mai 2010
Von Ralf Fücks
Dass kein Staat für die Schulden des anderen haftet, war die große Lebenslüge der Europäischen Währungsunion. Sie hielt gerade so lange, wie der stete Fluss billiger Kredite nicht stockte und kein Mitglied der Euro-Zone in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten geriet.

Jetzt, da die griechische Schuldenblase geplatzt ist und ein Überspringen der Kreditkrise auf andere Euro-Länder droht, wird klar, dass die gemeinsame Währung auch gemeinsame Haftung bedeutet. Griechenland kann nicht in Quarantäne gesteckt werden. Selbst wenn das Land den Euro-Raum verließe, würde das die anderen Wackelkandidaten nicht stabilisieren. Eher im Gegenteil: die Risikoprämien für Portugal, Irland, Spanien würden steigen, wenn die Kreditgeber nicht länger mit der Notfallhaftung der anderen Eurostaaten rechnen könnten.

Implizit haben sowohl die Griechen wie die Banken auf diese Haftung spekuliert. Für sich allein hätte Griechenland neue Kredite schon früher nur zu exorbitanten Zinsen erhalten. Denn jedem halbwegs Kundigen musste klar sein, dass das Land überschuldet war, weil mit den aufgehäuften Krediten Bürokratie, Korruption und soziale Leistungen finanziert wurden, die durch die nationale Wirtschaftskraft nicht gedeckt waren.


Heuchelei in Berlin und Brüssel

Insofern ist es reine Heuchelei, wenn jetzt in Brüssel und Berlin so getan wird, als fiele man aus allen Wolken. Die griechische Krise ist auch ein Ergebnis organisierter Verantwortungslosigkeit innerhalb der Eurozone. Sie betrifft die EU-Kommission ebenso wie Regierungen und Banken. Jetzt, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, müssen die anderen Euro-Staaten faktisch für die griechischen Schulden bürgen. Die Kredittranche, die gemeinsam von IWF und Euro-Ländern zu Verfügung gestellt wird, um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands zu sichern, ist nur eine Anzahlung. Und ob Griechenland jemals in der Lage sein wird, diese Kredite mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen, oder ob doch ein Schuldenschnitt erfolgen muss, steht in den Sternen.

Es greift allerdings viel zu kurz, die jetzige Krise nur als ein finanzielles Problem zu behandeln. Auf dem Prüfstand steht die ganze Konstruktion der europäischen Währungsunion und mehr noch: die Europäische Union selbst. Denn in der aktuellen Euro-Krise zeigen sich grundlegende Probleme einer auf halbem Weg steckengebliebenen europäischen Integration.


Ein Dach ohne gemeinsames Fundament

Schon bei der Einführung des Euro warnte die große Mehrheit der Ökonomen davor, Staaten von ganz unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungskraft und Finanzkultur in das Prokustesbett einer gemeinsamen Währung zu zwingen. Man errichtete quasi ein gemeinsames Dach ohne gemeinsames Fundament. Mit dem Euro haben die beteiligten Staaten ihre währungspolitische Souveränität aufgegeben, nicht aber ihre Budgethoheit. Auch die Steuerpolitik blieb nationale Domäne, erst recht natürlich die Lohnfindung. So konnte sich Griechenland mit billigen Eurokrediten vollsaugen, während sich zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft weiter verschlechterte.

Weil den Schöpfern der Eurozone die Ansteckungsgefahr einer unsoliden Haushalts- und Finanzpolitik klar war, wurden die berühmten „Maastricht-Kriterien“ beschlossen, die finanzpolitische Disziplin garantieren sollten: die Schuldenquote jedes Mitgliedsstaates sollte 60% des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen, das aktuelle Haushaltsdefizit unter 3% bleiben. Das erwies sich schon bald als reine Schönwetterpolitik. Sobald die Eurostaaten in wirtschaftliche und finanzielle Probleme gerieten, wurden die Ausnahmen vom Stabilitätspakt die Regel, Deutschland nicht ausgenommen. Da über alle politische Familien hinweg ein stillschweigender Konsens herrschte, dass Staatsschulden nur durch forciertes Wirtschaftswachstum, keinesfalls aber durch Ausgabenkürzungen abgebaut werden könnten, war es logisch, bei jedem Engpass die Kreditaufnahme zu erhöhen und die Maastricht-Kriterien bis zur Beliebigkeit aufzuweichen.


Die Währungsunion als Haftungsgemeinschaft

Die jetzige Euro-Krise ist deshalb im Kern eine Krise der „European Governance“. Eine gemeinsame Währung kann keinen Bestand haben ohne finanz- und wirtschaftspolitische Konvergenz. Angesichts der intensiven wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtung zwischen den europäischen Staaten und der offenen Grenzen für EU-Bürger impliziert eine gemeinsame Währung auch eine gemeinsame Haftung. Die Europäische (Währungs-)Union ist  eine europäische Haftungsgemeinschaft. Eine Haftung auf Gegenseitigkeit wird aber zum Fass ohne Boden, wenn sie nicht durch gemeinsame Regeln und Institutionen unterlegt ist, die verantwortliches Handeln gewährleisten (und notfalls erzwingen). Der bisherige Stabilitätspakt war dafür so wenig geeignet wie eine engere Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik durch den Europäischen Rat mit seinen 27 Mitgliedern. Im Zweifel bilden sich dort immer Mehrheiten für eine laxere Handhabung der Stabilitätskriterien.

Wenn die europäische Währungsunion zukunftsfähig werden soll, muss die Souveränität ihrer Mitglieder in finanz- und haushaltspolitischen Fragen eingeschränkt werden. Das wird gegenwärtig im Fall Griechenland bereits vorexerziert. Im Austausch gegen Finanzhilfen muss sich der griechische Staat strikten Vorgaben unterwerfen, die seine Budgethoheit außer Kraft setzen und weit in zentrale Politikfelder hineinreichen. Faktisch wird Griechenland unter Aufsicht des IWF und der EU gestellt. Das ist auch nicht zu kritisieren, so lange die europäischen Steuerzahler für die griechischen Schulden haften sollen.


Präventive Mechanismen

Wenn eine Wiederholung dieser Krise vermieden werden soll, müssen die präventiven Mechanismen auf europäischer Ebene ausgebaut werden. Das erfordert strikte Regeln der Schuldenbegrenzung, ein effektives Monitoring der nationalen Haushalte durch eine unabhängige europäische Instanz (die EZB) sowie automatisierte Sanktionen, die nicht der politischen Opportunität unterliegen. Darüber hinaus braucht es eine stärkere Harmonisierung der Steuerpolitik (Griechenland hat zugleich überproportionale Schulden und unterproportionale Steuereinnahmen) und eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, um die gesamte Eurozone auf einen ökologisch und finanziell nachhaltigen Wachstumskurs zu bringen.

Die Alternative zu dieser neuen Stufe europäischer Integration wäre eine Erosion nicht nur der gemeinsamen Währung, sondern der europäischen Institutionen insgesamt. Ein Zurück zu einer losen Staatenunion wäre aber gleichbedeutend mit der Verabschiedung Europas als ökonomische und politische Kraft in einer globalisierten Welt.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.